Die innere Haltung beim Meditieren

Die äußere Haltung beim Meditieren kann durchaus wichtig sein: Aufrecht zu sitzen verhindert z.B., dass wir zu schläfrig werden oder die Konzentration verliert, eine stabile Sitzposition, dass wir eine ausreichende Zeit lang in Ruhe sitzen können, usw. Ähnlich wichtig, wenn nicht noch wichtiger, ist jedoch die innere Haltung, mit der wir beim Meditieren all unseren Sinneseindrücken und Erfahrungen begegnen. Wer mit dem westlichen Achtsamkeitsbegriff nach Kabat-Zinn vertraut ist, kennt vielleicht seine Beschreibung dieser inneren Haltung: Absichtsvoll, nicht-wertend und auf den gegenwärtigen Moment gerichtet. Das heißt, wir betrachten bewusst das, was gerade ist, ohne uns ein Urteil darüber zu bilden.

In dieser kurzen Beschreibung sind viele wichtige Elemente enthalten. In diesem Blogartikel möchte ich darüber hinaus noch eine Beschreibung der inneren mediativen Haltung vorstellen, die noch etwas über die Kabat-Zinn-Definition hinausgeht. Es handelt sich dabei um das Konzept des US-amerikanischen Meditationslehrers Shinzen Young. Er definiert die innere Haltung als eine Kombination aus Konzentration, Klarheit und Gleichmut. Im Folgenden schauen wir uns an, was genau sich nach seiner Definition hinter diesen Begriffen verbirgt.

Konzentration

Konzentration löst bei vielen vielleicht erstmal weniger gute Assoziationen aus: Da ist die Idee, Konzentration bedeutet ein fast schon verkrampftes Starren auf eine einzige Sache, da ist die Erinnerung an Schulzeiten („Konzentier‘ dich endlich mal!“) usw. Gerade deshalb ist es wichtig, genau anzuschauen, was in der Meditation damit gemeint ist, auch um zu verhindern, dass das ganze mehr verkrampfter Kraftakt als alles andere wird.

Konzentration bedeutet in diesem Zusammenhang erstmal nur, die Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten und bei ihr zu bleiben, eine Sache sozusagen im Fokus zu halten. Das kann in der Meditation alles Mögliche sein, angefangen bei einzelnen Wahrnehmungen wie dem Atem bis hin zu großflächigen Bereichen wie z.B. dem Körper und allen körperlichen Empfindungen darin. Dabei geht es nicht um ein verkrampftes Starren, sondern eher darum, die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken und sie dort ruhen zu lassen. Wie alle hier beschriebenen Aspekte der inneren Haltung ist Konzentration etwas, das Übung erfordert – es ist völlig normal, am Anfang (und manchmal auch Jahre später) immer wieder das eigentliche Meditationsobjekt aus dem Fokus zu verlieren. Wichtig ist es dann, den Fokus sanft wieder zum Objekt zu lenken. Sich selbst dafür Vorwürfe zu machen, dass man den Fokus nicht aufrechterhalten konnte, ist dagegen in der Regel kein gutes Rezept für Verbesserung der Konzentration und eher Energieverschwendung. Es geht eher um das beständige Wiederhinwenden zum Meditationsobjekt.

Konzentration in ihrer stärksten Form, die sich durch Übung entwickelt oder manchmal auch ganz spontan entsteht, kann als sehr angenehm und belohnend erlebt werden und mit dem Gefühl einhergehen, förmlich mit dem Meditationsobjekt zu verschmelzen. Manche Traditionen halten diese Fähigkeit zur besonders intensiven Konzentration für unabdingbar. Wir bei Ikida sind allerdings eher der Auffassung, dass solche außergewöhnlichen Level von Konzentration zwar hilfreich sein können, aber für eine erfolgreiche Meditationspraxis nicht zwingend notwendig sind.

Klarheit

Klarheit oder etwas spezifischer Sensorische Klarheit beschreibt die „Auflösung“ (ähnlich wie bei Pixeln eines Bildes oder Videos), in der wir unsere Sinneseindrücke wahrnehmen. Je mehr Details wir erkennen können, desto größer ist unsere Klarheit. Beim Meditieren halten wir das Meditationsobjekt nicht nur im Fokus (s. Konzentration), sondern versuchen auch, es in allen Details wahrzunehmen. Es geht dann z.B. nicht nur darum, wahrzunehmen, dass da ein Kribbeln im Fuß ist, sondern ganz genau hinzusehen: Wo genau ist das Kribbeln? Kommt es in Wellen, oder ist es gleichbleibend? Hört es manchmal kurz ganz auf, bevor es wieder anfängt? Wird die kribbelnde Fläche manchmal größer, manchmal kleiner? Wir machen uns sozusagen so vertraut wie möglich mit der Wahrnehmung, die gerade da ist.

Klarheit in ihrer stärksten Form geht mit dem Gefühl einher, besonders wach zu sein und die eigenen Empfindungen sozusagen in „high resolution“ wahrzunehmen. Das kann dazu führen, dass selbst vermeintlich unspektakuläre oder störende Wahrnehmungen als interessant, faszinierend und lebendig wahrgenommen werden. Auch kann Klarheit dabei helfen, den nächsten Punkt, Gleichmut, zu verstärken.

Gleichmut

Um es gleich vorwegzusagen: Gleichmut ist ein komplexes Thema, dass beizeiten seinen eigenen Blogartikel bekommen wird. Bis dahin soll hier nur ein kurzer Überblick gegeben werden.

Gleichmut bedeutet, den Dingen, die wir wahrnehmen, offen gegenüber zu sein, uns nicht vor ihnen zu verschließen, so unangenehm, schmerzhaft etc. sie auch sein mögen. Shinzen Young beschreibt das im Englischen auf den Punkt gebracht mit „Don’t push, don’t pull“ – stoße die Empfindung nicht weg (egal wie unangenehm sie auch sein mag), ziehe die Empfindung nicht zu dir (egal wie angenehm sie auch sein mag). Lass sie sich ganz von allein entfalten und so sein wie sie ist, bis sie verschwindet.

Gleichmut stellt von allen drei Aspekten der inneren Haltung sowohl den wichtigsten als auch oft den herausforderndsten dar. Während wir im Alltag durchaus Erfahrung damit haben, uns auf Dinge zu konzentrieren und sie uns im Detail anzusehen, sind wir für gewöhnlich darauf trainiert, auf sie zu reagieren: Ein schlechtes Gefühl loswerden, z.B. durch Ablenkung oder Unterdrückung, ein gutes Gefühl intensivieren, mehr davon haben wollen. In der Meditation aber trainieren wir letztlich, die Dinge so zu lassen, wie sie sind, nicht darauf zu reagieren.

Häufig kommt bei dem Thema Gleichmut Verwirrung auf: Ist das nicht einfach Gleichgültigkeit, und ist das nicht etwas Schlechtes?

In Kurzform: Gleichmut unterscheidet sich trotz oberflächlicher Ähnlichkeit fundamental von Gleichgültigkeit. Gleichmut beschreibt eine offene Haltung, Gleichgültigkeit eine verschlossene. Im Falle der Gleichgültigkeit bedeutet letztlich nichts irgendetwas, alles ist egal. Im Falle des Gleichmuts sind alle Dinge gleich bedeutsam und werden deshalb gleich offen angenommen. Gleichgültigkeit führt in ihrer extremsten Form zu massiven Gefühlen von Sinnlosigkeit, Gleichmut in seiner stärksten Ausprägung führt hingegen zu einem tiefen inneren Frieden mit den Dingen, die gerade sind, egal worum es sich handelt.

Die drei Aspekte in der Praxis

So gut wie jede Meditationsform kultiviert diese drei Aspekte der inneren Haltung. Manche legen den Fokus mehr auf das konzentrative Element, manche eher auf die Klarheit, wieder andere auf den Gleichmut. Viele trainieren alle drei in ähnlichem Maße. Wichtig ist hier, festzuhalten, dass es unrealistisch ist zu erwarten, dass alle drei Aspekte stets gleich stark ausgeprägt sind. Abgesehen vom Übungseffekt, können auch Faktoren wie Tagesform, Müdigkeit, Belastung im Leben usw. großen Einfluss darauf haben. Letztlich geht es nicht darum, diese Aspekte immer so perfekt wie möglich umzusetzen, sondern diese Qualitäten in der eigenen Meditationspraxis immer und immer wieder zu kultivieren. Alle drei bieten das Potenzial, das eigene Leben lebendiger, klarer und mit mehr innerem Frieden zu erfahren, deshalb ist es gut, alle im Blick zu behalten. Gleichmut kommt jedoch eine ganz zentrale Rolle zu: Hier trainieren wir eine besondere Herangehensweise an unsere Empfindungen und letztlich an unser Leben, die es ermöglicht, eine andere Perspektive auf die Dinge einzunehmen und sehr dabei helfen kann, auch schwierigste Lebenssituationen zu bewältigen.

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