Denken erlaubt

Wenn man den Begriff Meditation hört, erscheint häufig direkt ein Bild dazu im Kopf: Eine Person sitzt mit gekreuzten Beinen, vielleicht sogar im Lotussitz mit seligem Gesichtsausdruck, völlig versunken in der Meditation und natürlich wundervoller Stille im Kopf, frei von allen Gedanken. Gleichzeitig weiß wohl jeder, der mindestens einmal versucht hat zu meditieren, dass die eigenen Gedanken selten verschwinden, sondern vielmehr besonders in den Vordergrund treten und in wilden Assoziationen von einem Thema zum anderen springen.

Ein typisches Beispiel: Man richtet seine Aufmerksamkeit auf den eigenen Atem und nach zwei Atemzügen denkt man „Oh, das läuft aber ganz gut heute. Gestern konnte ich mich kaum konzentrieren. Aber gestern war ich ja auch total müde von dieser langen Zugfahrt. Warum können Züge nie pünktlich sein? Dafür muss es doch eine Lösung geben… oh, ja richtig, ich wollte ja dem Atem folgen“. So ähnliche Erfahrung hat wohl schon jede:r Meditierende gemacht, und trotzdem hält sich die Vorstellung relativ hartnäckig, dass Meditation vor allem bedeutet, nicht zu denken. Vor einigen Jahren habe ich sogar die Aussage gehört: „Ich kann nicht meditieren, weil ich nicht aufhören kann zu denken!“. Um es einmal ganz klar zu sagen: Wäre das die Voraussetzung für Meditation, könnte keiner von uns meditieren. Wer kann schon die eigenen Gedanken einfach abschalten?

Zweifellos gibt es Zustände in Meditation, in denen nur noch sehr wenig oder gar keine Gedankenaktivität mehr vorhanden ist, z.B. die sogenannten Jhanas, Zustände enormer Konzentration auf ein einzelnes Meditationsobjekt. In den allermeisten Fällen jedoch sind beim Meditieren Gedanken präsent. Das ist völlig normal und einfach, wie unser Gehirn funktioniert: Es produziert nun mal Gedanken. Und die gute Nachricht ist: Wir können mit ihnen arbeiten! Wir können Gedanken als Meditationsobjekt selbst nutzen und dabei etwas lernen, was vielleicht noch wertvoller ist, als den Kopf mal völlig frei zu haben – nämlich, uns von Ihnen nicht stören zu lassen, obwohl sie da sind.

Unterschiedliche Formen von Gedanken

Dafür müssen wir zuallererst verstehen, in welcher Form Gedanken eigentlich auftauchen können. In der eigenen Wahrnehmung können Gedanken zwei Formen annehmen: Sie können als mentale Bilder vor unserem inneren Auge auftauchen, oder als „gesprochene“ Worte in unserem Kopf erklingen. Manche Menschen denken vor allem in inneren Bildern, andere vor allem in Worten, die meisten von uns in beidem. Wir können uns also in der Meditation genau diesen beiden Formen (Bildern und Worten) bewusst zuwenden. Wir können darauf achten, welche Bilder entstehen, welche Worte wir in unserem Kopf hören. Wichtig, um sich nicht in den Gedanken zu verlieren, ist hierbei Folgendes: Wir fokussieren uns weniger auf den Inhalt der Gedanken (Was sehe ich vor meinem inneren Auge? Was höre ich in meinem Kopf?), sondern auf Form und Verlauf.

Was heißt das genau? Gedanken kommen und gehen, unser Denken kann man sich als langen Fluss von Assoziationen vorstellen. Das bedeutet auch, dass Gedanken einen Anfang und ein Ende haben. Konkret kann das heißen, dass während der Meditation etwa ein inneres Bild aufsteigt, sagen wir z.B. von dem, was es heute zum Mittagessen gibt. Oberflächlich betrachtet ist da plötzlich ein Bild von einem Gericht in unserem Kopf, wir denken an das Mittagessen.

Den Fluss der Gedanken erleben

Wenn wir aber genau hinschauen (und das tun wir beim Meditieren sehr oft), werden wir erkennen, dass der Prozess des Denkens in viel kleineren Schritten abläuft. Das Bild vor unserem inneren Auge ist entstanden, bleibt aber selten stabil – vielmehr verändert es sich kontinuierlich, z.B. die Perspektive, die Schärfe, die Details, Teile des Bildes verschwinden vielleicht, tauchen wieder auf, irgendwann verschwindet das ganze Bild. Dann tauchen vielleicht Worte im eigenen Geist auf, z.B. „Warum denke ich eigentlich ständig ans Mittagessen?“. Auch diese Worte entstehen, haben einen bestimmten Klang, eine Betonung, eine Lautstärke, auf die wir uns fokussieren können, ohne uns mit dem Inhalt zu beschäftigen – verbale Gedanken werden damit also mehr als Geräusche wahrgenommen.

Beim Meditieren können wir diese Prozesse des Denkens, das Entstehen und Vergehen und die kontinuierliche Bewegung von Gedanken in Echtzeit verfolgen, ohne uns von dem Inhalt einehmen lassen zu müssen. Gedanken können dann da sein, aber sie stören nicht. Im Gegenteil: Wir können eine Faszination dafür entwickeln, wie sie aufsteigen, sich entfalten, fließen und wieder verschwinden. Manchmal entstehen Pausen zwischen den Gedanken, ein Gedanke verebbt und ein neuer erscheint erst nach einer Weile. Diesen Fluss zu erleben, kann eine sehr angenehme Erfahrung sein.

Gedanken annehmen - auch die belastenden

Ein großer Vorteil dabei: Prinzipiell kann es egal sein, um welche Gedanken es sich handelt. Das können so triviale Gedanken wie der an die nächste Mahlzeit sein, aber ebenso Grübeleien über anstehende Herausforderungen oder Probleme, die ansonsten als belastend erlebt werden. Grundsätzlich sind auch diese nur innere Bilder und Worte, die aufsteigen, sich entfalten, verändern und wieder verschwinden. Sicherlich erfordert es einiges an Übung, auch mit belastenden Gedanken so umzugehen. Aber gerade diese Übung kann sich wirklich lohnen, um zu erlernen, sich von Gedanken zu distanzieren. Wenn man einmal gemerkt hat, dass sich der unwichtige Gedanke ans Mittagessen und der Gedanke, was morgen vielleicht Schwieriges auf der Arbeit passieren könnte, in ihrer Qualität gar nicht unterscheiden – beide entstehen als innere Bilder und Worte, beide verändern sich kontinuierlich, beide verschwinden – kann es sehr viel einfacher sein, sich von den belastenden Gedanken nicht verrückt machen und sich von ihrem Inhalt nicht überwältigen zu lassen.

Hier liegt der Wert vom Arbeiten mit Gedanken in der Meditation: Am Ende gewinnen wir etwas, das sogar besser ist als zeitweise die eigenen Gedanken abschalten zu können, nämlich die Fähigkeit, all unsere Gedanken, egal ob angenehm, belastend oder trivial, annehmen zu können. Und das, ohne uns von ihnen gestört zu fühlen oder uns in ihnen zu verlieren. Der Druck, die Gedanken aus der Meditation „weg zu bekommen”, verschwindet, und es wird deutlich, dass Gedanken bei der Meditation nichts Störendes sein müssen. Im Gegenteil – mit dem richtigen Umgang können wir viel von ihnen lernen.

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Die innere Haltung beim Meditieren